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Bettina-Christin Lemke

 Beziehungslust statt Beziehungsfrust

 

In der heutigen Gesellschaft kann eine Liebesbeziehung gestaltet werden wie es die Partner selber bestimmen. Diese Freiheit ist gleichzeitig Segen und Fluch. Wir können gestalten, aber das heißt auch: Wir müssen gestalten. Eine Liebesbeziehung besteht nicht nur aus positiven Gefühlen, die so tragfähig sind, dass sie die Beteiligten mühelos durch den Alltag tragen. Liebe entsteht nicht aus dem Nichts, sondern kann als durchaus beeinflussbare Emotion angesehen werden. Damit wird die Liebesbeziehung nicht dem Zufall überlassen, sondern wird zum selbst konstruierten und selbst verantworteten Bereich des persönlichen Lebens. Das was wir in eine Beziehung an Aufmerksamkeit, Interesse, Energie, Gefühl und Zeit investieren wird Auswirkungen darauf haben was sie uns gibt.

 

Der Mensch ist ein „Gewohnheitstier“. Das gilt auch in Liebesdingen. Wenn die Zugehörigkeit zueinander verbal („Ich liebe Dich“) oder schriftlich (Trauung) fixiert ist, kann man sich endlich wieder um die Welt da draußen kümmern und man würde so gerne daran glauben, dass die erreichte Qualität der Liebe damit auch determiniert ist. Manchmal ist es allerdings so, dass Paare unzufrieden mit ihrer Partnerschaft sind, oder es einer von beiden ist. Man hat sich mehr erhofft und ist nun latent enttäuscht, was wiederum die Beziehung belastet. Der Alltag holt die Liebe ein und legt sich über sie wie Morast. Irgendwann wird der Partner utilisiert wie ein Auto oder ein Staubsauger. Aber was ist aus der Liebe geworden? Dem ehrlichem Interesse? Dem zärtlichem Gefühl?

 

Felix und Sabrina sind seit zwei Jahren ein Paar. Felix ist Lehrer und Sabrina arbeit als Krankenschwester in einem Krankenhaus. Seit einem halben Jahr wohnen sie in einer gemeinsamen Wohnung. Sie versuchen ständig die Balance zwischen Eigenleben und Beziehungsleben aufs Neue so zu bestimmen, so dass sich beide Bereiche harmonisch in ihr Leben einfügen. Sie unternehmen gerne etwas zusammen um Gemeinsamkeiten zu schaffen, haben aber auch eigene Bereiche. Felix besucht gerne mit Freunden Rockkonzerte und Sabrina spielt leidenschaftlich gerne Brettspiele. Durch die Akzeptanz ihrer Unterschiede profitiert die Beziehung. Irgendwann haben sie dann aber festgestellt, dass sie sich seit Wochen nicht mehr richtig unterhalten haben. Die unterschiedlichen Arbeitszeiten, Freizeittermine, die Hausarbeit ließen kaum Raum für eine blaue Stunde zu zweit. Auch wenn beide gleichzeitig zu Hause waren gab es immer etwas zu tun: das Computerspiel oder der Fernseher lockte, die Freundin rief an, die Wäsche musste gebügelt werden. Ihre Beziehung war gut, aber beide merkten, dass sie begann ihnen aus den Fingern zu gleiten. Auch wenn sie meinten sich in und auswendig zu kennen, wussten sie nicht, womit sich der Andere gerade beschäftigte, worüber er mit seinen Freunden sprach, wie er sich wirklich fühlte und welche Sehnsüchte er hatte.

 

Sie beschlossen bewusster mit ihrer Beziehung umzugehen und gemeinsame Zeit einzuplanen und zu gestalten. Jetzt verabreden sich Sabrina und Felix regelmäßig zweimal in der Woche um für mindestens eine Stunde miteinander zu reden. Es funktioniert. Sie haben sich nach wie vor etwas zu sagen, sind neugierig auf die Meinung des anderen und hören zu um zu verstehen. Es gibt Auseinandersetzungen, doch geht es hierbei nicht um das Durchsetzen der eigenen Meinung, sondern darum Einstellungen auszuloten, Gemeinsames aufzubauen und zu verstärken. Es gibt dann keinen einzelnen Sieger, sondern entweder zwei Sieger, wenn es gelungen ist den Konflikt zu lösen oder zwei Verlierer, wenn es nicht gelungen ist.

 

Jeder entscheidet selber über die Qualität seiner Partnerschaft. Jede Entscheidung ist legitim. Aber jede Entscheidung erfordert ein konsequentes Agieren. Viele Menschen wünschen sich eine bessere Beziehung. Wenn man sich dafür entscheidet mehr Qualität in eine Beziehung zu integrieren benötigt das auf beiden Seiten ein Wollen, ein Wissen und ein Können.

 

Wollen

 

Das Wollen bezieht sich auf grundsätzliche Einstellungen zur Partnerschaft. Dazu gehört das Interesse sich auf einen anderen Menschen einzulassen mit einer Tiefe, die Freundschaften verwehrt bleibt und mit einer Offenheit in der sich Potenziale entfalten können. Dazu gehört es einen Sinn darin zu sehen, gemeinsam zu wachsen, sich weiterzuentwickeln, auf einer Ebene, die individuell nicht möglich ist. Das Wollen bezieht eine Risikobereitschaft ein. Das Leben und die Partner selber verändern sich ständig. Hierin Chancen zu sehen ist eine besondere Herausforderung. Es kann nicht darum gehen das Erreichte lediglich zu sichern. Es gibt keine Stagnation, keinen Stillstand. Wer nicht weitergeht und Veränderungen integriert fällt zwangsläufig zurück. Es geht darum Lust daran zu entwickeln in der menschliche Begegnung mehr als die Befriedigung der vitalen Bedürfnisse zu sehen. Es geht um die Lust und der Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Optimierung der eigenen Person und der Liebesbeziehung.

  

Wissen

 

Das Wollen alleine reicht nicht aus. Es gibt inzwischen genügend wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Psychologie, den Neurowissenschaften und der Philosophie die zum Beziehungsgrundwissen gehören sollten. Es ist z.B. nützlich zu wissen wie das menschliche Gehirn funktioniert, welche Gesetzmäßigkeiten das Seelenleben beeinflussen und wie man zu einem konstruktiven Dialog gelangen kann.

Neurowissenschaft: Aus der Vielfältigkeit der Forschungsergebnisse sollen hier nur zwei Tendenzen exemplarisch angesprochen werden. 1. Gedankenkontrolle: Das Gehirn neigt dazu bequeme Wege zu gehen. Gedanken und Handlungen werden über komplexe Nervenzellenverbindungen flexibel (d.h. die Verbindungen sind veränderungsfähig) gespeichert. Wenn ein Gedanke oft gedacht oder eine Handlung oft ausgeführt wird, geht das mit einer Leichtgängigkeit einher. Physiologisch verstärken sich diese Nervenverbindungen. Jeder häufig gedachte Gedanke hat die Tendenz sich zu verfestigen. Im positiven wie im negativen Sinne. Deshalb sollten jegliche destruktive Gedanken sofort unterbunden werden. Es ist sinnvoller sie zu stoppen und an etwas anderes, was den eigenen Zielen entspricht zu denken. Wenn sich jemand beispielsweise die negativen Eigenschaften seines Partners (oder von sich selber) ständig vor Augen hält, werden sie als intensiver wahrgenommen als sie wahrscheinlich sind. 2. So tun als ob. Für das Gehirn macht es grundsätzlich keinen Unterschied ob etwas wirklich passiert oder ob es in der Fantasie geschieht. Wenn jemand so tut, als ob er gute Laune hätte, sich gerade hinstellt, eher nach oben blickt und lächelt, wird er auch etwas davon spüren. In einer positiven Grundstimmung sind alle Gedanken konstruktiver. Es kann nützlich sein ab und an damit zu experimentieren. Gefühle und Stimmungen sind nicht unbeeinflussbar, sondern können, wenn man es möchte durchaus verändert werden.

 

Psychologie: Wichtige Erkenntnisse für den Beziehungsalltag ergeben sich aus der Lernpsychologie. Eine der bedeutendsten Lernform ist die Konditionierung. Hierbei werden zwei Elemente miteinander verbunden, die ansich nichts miteinander zu tun haben. Das können z.B. Gedanken, Handlungen, sprachliche Mitteilungen sein. In der Regel kommen Konditionierungen unbewusst zustande. Forschungsarbeiten konnten zeigen, dass viele soziale Verhaltensweisen, wie Einstellungen zu anderen Menschen, Zuneigung, Aggression, Kooperation als Ergebnis von Konditionierungsprozessen denkbar sind. Ein einfaches Experiment wurde an einer amerikanischen Universität durchgeführt: Die Hörer einer Psychologievorlesung wurden beauftragt, jeder Frau auf dem Universitätsgelände, die Rot trug, Komplimente zu machen. Binnen einer Woche war die Mensa ein Meer von Rot (und Freundlichkeit), und keine der Frauen war sich bewusst, warum sie plötzlich so gerne Rot trug.

Wenn eine Frau ständig zu spät nach Hause kommt und ihr Mann darauf stets mürrisch reagiert und auf Pünktlichkeit gar nicht reagiert, wird es sie eher davon abhalten pünktlich zu kommen. Sie verbindet das nach Hause kommen mit dem mürrischen Mann, was sie solange es möglich ist zu vermeiden sucht. In einer guten Beziehung sollte deshalb versucht werden die eigene Person mit angenehmen Konsequenzen zu verbinden. Generell wirken positive Faktoren wie etwa Humor, Übereinstimmung in vielen Fragen, gegenseitige Zustimmung, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, dem Partner zuzuhören als positive Assoziationen.

 

Kommunikationspsychologie: Paare, die mindestens 25 Jahre zusammenleben, nennen die Fähigkeit, gemeinsam Probleme zu lösen, als wichtigsten Faktor für ihre Zufriedenheit. Die psychologischen Erkenntnisse zur konstruktiven Kommunikation sind inzwischen gut gesichert und lassen sich in wenigen Regeln zusammenfassen. 1. Verwenden Sie Ich-Botschaften statt Du-Botschaften: Statt „Du bist rücksichtslos“, eher ein: „Ich ärgere mich darüber, weil du den Termin vergessen hast.“ 2. Gehen Sie nicht davon aus, dass der andere das versteht, was Sie meinen und umgekehrt. Bitten Sie um eine Rückmeldung und geben Sie ihrem Gesprächspartner eine Rückmeldung wie Sie ihn verstanden haben. 3. Hören Sie ihrem Partner zu und lassen Sie ihn ausreden. 4. Justieren Sie Ihre Körperhaltung so, dass sie zum Gesprochenem passt und Offenheit und Interesse signalisiert.

  

Können

  Können ist die Anwendung von Wissen. Es bedeutet die Fähigkeit Handlungen einzuleiten um Ziele zu erreichen und beinhaltet ein hohes Maß an Reflexionskompetenz. Die Grundvoraussetzungen dazu sind Lernfähigkeit und Flexibilität. Jeder Mensch kann grundsätzlich in jeder Situation anders reagieren. Deshalb meint Lernen hier die Fähigkeit die Effekte seines Tuns zu beobachten und Flexibilität heißt sein Verhalten zu verändern, wenn Ziele nicht erreicht werden oder auch Ziele zu verändern, wenn sie sich als sinnlos erweisen. Zum Können gehört es auch Verantwortung zu übernehmen. In erster Linie für die eigene Person, das eigene Denken, die eigenen Handlungen und Gefühle und für die Beziehung in Gemeinschaftsarbeit. Äußere Schwierigkeiten sind keine Entschuldigung für eine nicht funktionierende Beziehung. Schwierigkeiten gibt es immer. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht.

 

Bewusst Zeit miteinander zu verbringen, so wie es Sabrina und Felix getan haben, ist nur eine Möglichkeit eine Beziehung lebendig zu erhalten und ihr neue Impulse zu geben. Einen Menschen gefunden zu haben, den man gerne hat und mit dem man vielleicht zusammen lebt, ist ein großes Glück. Mit einer Beziehung leichtfertig umzugehen, sich nicht um sie zu kümmern, vieles für selbstverständlich zu halten kann zu offenen oder verdeckten Beziehungsstörungen führen oder sogar zur Trennung. Eine hohe Qualität in Beziehungen zu verwirklichen bedeutet eine Abkehr von der egoistischen Konsumgesellschaft. Diese Beziehungen werden nicht nach Funktion und Nutzen beurteilt, es geht nicht darum mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel herauszuholen und auch nicht darum schnelle Befriedigung zu erlangen, die meist im nächsten Moment wieder verpufft. Es geht um die Bereitschaft zur Tiefe, um langfristigen Aufbau, um eine innere Ausrichtung, die letztlich vom eigenen Ego weggeht und um die Bereitschaft und die Lust ständig daran zu arbeiten. Das schenkt eine wunderbar satte Zufriedenheit, die das Leben lebenswert macht.

  

 

Schritte zur Qualität

  1. Zeit: Verbringen Sie so viel hochwertige Zeit wie möglich miteinander. Das meint ein intensives Aufeinanderbezogensein: Konstruktive Gespräche in einer ruhigen Atmosphäre oder gemeinsame Spaziergänge gehören dazu. Nebeneinander Fernsehen zu gucken gehört nicht dazu.
  2. Planung: Werden Sie (gemeinsam mit ihrem Partner) Schöpfer Ihrer eignen Beziehung. Überlegen Sie was Sie sich wünschen und erkundigen sie sich nach den Wünschen ihres Partners (auch wenn sie schon lange zusammen sind). Setzen Sie sich Ziele und entwickeln Sie Wege, wie Sie diese Ziele erreichen können, ohne in einen Perfektionismus zu verfallen. Manche Dinge funktionieren, andere eben nicht.
  3. Hilfsmittel: Verwenden Sie Hilfsmittel. Interaktionsspiele, Kommunikationsregeln, hilfreiche Literatur oder Rituale können wichtige Ressourcen sein um einen stabilen Rahmen zu ermöglichen, der es erst zulässt frei und offen aufeinander zu zugehen.
  4. Gemeinsamkeiten schaffen: Die psychologische Erkenntnislage ist eindeutig: Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten sind wichtige Kriterien für eine gelungene Partnerschaft. Wenn von Anfang an zu wenig Gemeinsamkeiten da sind spricht nichts dagegen diesen Stabilitätsfaktor zu schaffen.
  5. Selbstpflege: Kümmern Sie sich um sich selbst. Bewahren Sie trotz aller Liebe ihre Eigenständigkeit und Autonomie. Stärken Sie Ihre Stärken und arbeiten Sie an Ihren Schwächen.
  6. Akzeptanz: Bemühen Sie sich darum Ihren Partner so zu akzeptieren wie er ist und seine Motive für sein Verhalten und Denken zu verstehen, sowie bereute Fehler zu verzeihen.

 

   Zum Weiterlesen:

 

Paul Watzlawick: Menschliche Kommunikation

Friedhelm Schulz von Thun: Miteinander reden

Stefan Klein: Die Glücksformel

John M. Gottman; Nan Silver: Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe.

Michael Lukas Moeller: Die Wahrheit beginnt zu Zweit.